Jochen Gartz

Der Leipziger als Pionier der Erforschung psychoaktiver Pilze

Auf Kosten der Regierung psychoaktive Pilze zu untersuchen und Forschungsreisen in ferne Länder genehmigt zu bekommen – und das auch noch zu DDR-Zeiten. Dieses Privileg hatte kein anderer Wissenschaftler außer ihm: Die Rede ist von Dr. habil. Jochen Ernst Friedrich Gartz (1953-2020).

Gartz war Chemiker und Mykologe und ist für seine Forschung über psychoaktive Pilze weltweit anerkannt. Das Vermächtnis des am 15. Oktober 2020 verstorbenen Leipzigers wertschätzen wir sehr und widmen ihm selbstverständlich auch diese Ausstellung.

Jochen Gartz hat jahrzehntelang Feldforschung betrieben und verschiedene neue psilocybinhaltige Pilzarten erstmalig entdeckt und beschrieben. Er hat somit an der weltweiten psychedelischen Forschung rund um die Wirksubstanzen und die Kultivierung psychoaktiver Pilze einen nicht zu vernachlässigenden Anteil.

Er studierte ab 1972 in Merseburg an der Technischen Hochschule Chemie, arbeitete später als wissenschaftlicher Assistent im Hochschulbetrieb und war in der industriellen Pharmaforschung tätig, wobei er die Synthese und Analyse von Arzneistoffen untersuchte. Gartz hatte durch sein Chemiestudium die idealen Voraussetzungen, um sich anschließend der Chemie der sogenannten höheren Pilze und damit der mykologischen und ethnobotanischen Erforschung und Kulturverfahren von Pilzarten verschiedener Gattungen zu widmen. Er leistete dadurch interdisziplinäre Forschungsarbeit bzgl. psychoaktiver Pilze.

Wie kommt man aber als wissenschaftlicher Assistent in der Arzneiforschung in der damaligen DDR auf die Idee, sich mit psychoaktiven Pilzen zu beschäftigen? Seine Inspiration kam Anfang der 80er Jahre durch mehrere ungewollte Intoxikationen, die sich alle im Berliner Raum ereigneten. Durch Berichte über merkwürdige Vergiftungserscheinungen von Risspilzen, die Gartz eindeutig als psychoaktive Wirkungen erkannte, wurde sein Forschungsinteresse geweckt. Durch seine Untersuchungen über die Inocybe aeruginascens Babos konnte er erstmalig auch Psilocybin nachweisen. Außerdem gelang es Gartz, noch eine weitere, bis dahin unbekannte Substanz in dieser Art nachzuweisen. Das Psilocybin-Analog Aeruginascin, welches ebenso für die psychoaktive Wirkung verantwortlich ist.

Ab 1983 hat er sich im Auftrag der Regierung schließlich viele Jahre der Erforschung von Pilzarten gewidmet, was der besonderen DDR-Situation geschuldet war, da es ein Forschungsthema war. Ab 1990 konnte er Feldforschung in Südafrika und den USA betreiben. Seit dieser Zeit untersuchte Gartz dann auch zusammen mit anderen Fachkollegen psychoaktive Pilzarten in diversen Gattungen und hat über 100 Pilzarten umfangreich untersucht.

Spannend ist auch, dass Gartz mit seinem Kollegen Müller 1986 den ersten Nachweis des Psilocybe cyanescens im Osten Deutschlands beschrieben hat. Diese Info ist nicht ganz unwichtig, wenn wir bedenken, dass Gartz nicht unwesentlich an seiner Verbreitung hier in der Leipziger Gegend beteiligt gewesen sein soll.

Nach der Wende betrieb er ab 1990 auch Feldforschung in Südafrika und Nordamerika, welche zu neuen Entdeckungen von weiteren Pilzarten führte. Auf einer Reise in die Staaten im Jahre 1994, knüpfte Jochen Gartz Kontakte zu Koryphäen wie Jonathan Ott, Rick Doblin, Paul Stamets und Timothy Leary – die alle wichtige Vertreter der psychedelischen Renaissance sind. Er entdeckte 1994 zusammen mit weiteren Kollegen die erste psychoaktive Pilzart in Südafrika, in der Provinz Natal. Den Psilocybe natalensis. Schon ein Jahr später gelang es ihm zusammen mit dem US-amerikanischen Mykologen Paul Stamets, an der pazifischen Nordwestküste den Psilocybe azurescens als neue Pilzart zu definieren. Gartz schreibt dazu, dass diese Pilze ihm das eindrucksvollste feldmykologische Erlebnis seiner langjährigen Forschung bescherten.

Außerdem war Jochen Gartz u.a. Mitglied von MAPS, das ist die Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies und er war auch Mitglied des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsstudien, für das er außerdem 1997 hier in Leipzig ein Symposium selbst organisierte.

Sein Enthusiasmus war bemerkenswert, denn er forschte nicht nur über Psilocybinpilze, sondern auch über die Amanita-Arten (Fliegenpilzarten) und andere psychoaktive Moleküle, wie das LSD und Meskalin, aber auch über Ayahuasca. Im Bereich der Entheogene publizierte er zudem im Jahr 2001 über die psychoaktive Salbei-Art das erste deutschsprachige Buch unter dem Namen „Salvia divinorum – Die Wahrsagesalbei“.

Jochen Gartz war in verschiedenen Bereichen sehr ambitioniert. Insgesamt hat er über 100 Fachartikel in wissenschaftlichen Zeitschriften verfasst und mehrere Bücher veröffentlicht und war auf seinem Gebiet weltweit führend. Zu seinem bekanntesten Werk gehört „Narrenschwämme – Psychoaktive Pilze rund um die Welt“, welches im Nachtschatten Verlag erschienen ist und seit 1996 international unter dem Titel „Magic Mushrooms Around the World“ große Popularität erlangte. Unter den Hobby-Mykologen hat das kultige „Pilzzucht-Buch“ aus dem Verlag Werner Piper einen legendären Status, das er zusammen mit dem 2012 verstorbenen Bert Marco Schuldes, unter dem Synonym „Sam Lanceata“ verfasst hat.

Die letzte große Entdeckung zu seinen Lebzeiten war im Jahr 2014 mit seinem Kollegen Wiedemann. Dabei handelte es sich um eine neue Psilocybin-Art in Sachsen, die von ihnen als Psilocybe germanica publiziert wurde.

Jeden Herbst werden wir an Jochen Gartz erinnert, dann, wenn hier in Leipzig die ersten Fruchtkörper des P. cyanescens aus der Erdoberfläche sprießen und ihre Sporen auf der Suche sind, sich weiterzuvermehren. Das psychoaktive Pilz-Netzwerk in Leipzig wächst und wächst.

Quellenverzeichnis

  • Markus Berger und Roger Liggenstorfer für das gesamte Nachtschatten-Team: Ruhe in Frieden, Jochen Gartz. Lucys Rausch, Ausg. 12, 2020.
  • Heinemann, Mirko: Den Chemiker Dr. Jochen Gartz faszinieren Substanzen, die Extremes bewirken: einst Dynamit, jetzt Halluzinogene. Der Herr der Fliegenpilze. Berliner Zeitung, 2007.
  • Entheovision 4: Medizinisch interessante Indolalkaloide in Pilzen. Vortrag von     Jochen Gartz, 2007.         [https://www.youtube.com/watch?v=WRqaET8yI3U&t=802s]
  • Gartz, Jochen     und Wiedemann, Georg:, 30 Jahre Pilzforschung – Neue Arten,     Wirkstoffe und viele Artikel. Lucy‘s Rausch, Ausg. 2, 2015.
  • Gartz, Jochen: Psilocybin-Pilze – Neue Arten, ihre Entdeckung und Anwendung.     Nachtschatten Verlag, 2018.
  • Berger, Markus in der Radiosendung von der PSL: Psychoaktiv, Rauschkultur und Bewusstseinwandel. Psychoaktive Pilze Teil 1, 2020.

 

Literatur

Gartz, Jochen: Narrenschwämme : Psychoaktive Pilze rund um die Welt. Solothurn: Nachtschatten Verlag, 2015.

Gartz, Jochen. Psilocybin – Ein Pilzwirkstoff mit Zukunft. Arnshaugk, 2020.

Gartz, Jochen: Psilocybin-Pilze : Neue Arten, ihre Entdeckung und Anwendung. Solothurn: Nachtschatten Verlag, 2019.

Gartz, Jochen: Psychedelika – Historisch betrachtet. Leipzig: Engelsdorfer Verlag, 2007.

Gartz, Jochen: Salvia Divinorum – Die Wahrsagesalbei. Solothurn: Nachtschatten Verlag, 2012.

Gartz, Jochen: Wasserstoffperoxid : Das vergessene Heilmittel. Mobiwell Verlag, 2014.

Schuldes, Bert M; Lanceata, Sam: Das Pilzzuchtbuch. The Grüne Kraft, 1999.